Der Kontra-Landrat: Dirk Neubauer pöbelt jetzt im Internet zurück

Mittelsachsens Landrat hat seine Zurückhaltung in den sozialen Netzwerken abgelegt: Er findet, man müsse inzwischen so agieren. Hat Dirk Neubauer recht?

Wenn der Ton wirklich die Musik macht, dann setzt Dirk Neubauer neuerdings auf kreischende Gitarren. Auf ein Schlagzeug, das mit wüsten und schnellen Schlägen malträtiert wird. Auf brüllenden Gesang. Es dröhnt also, es hämmert und scheppert, wenn Mittelsachsens parteiloser Landrat aktuell einen neuen Post bei X absetzt. Neubauer hat seit geraumer Zeit die Tonart seiner Wortmeldungen auf der Plattform verschärft. Er pöbelt offensiv zurück. Er spitzt zu und provoziert.

Dem ehemaligen Chefredakteur der „Bild“, Julian Reichelt, antwortet Neubauer auf ein Video: „Es kreiste die Unverfrorenheit. Und Sie gebar: Ein niederträchtiges, hetzendes Schandmaul. Dem die Wahrheit so scheißegal ist, wie die Herkunft der Euros, die ihm dies ermöglichen.“

Wortgefechte im Digitalen

Als Sahra Wagenknecht die neuesten Steuerpläne kritisiert, mit denen die Bundesregierung Fachleute nach Deutschland anzulocken plant, sagt Neubauer: „Und das von einer Millionärin im rechtsblinkenden Selbstbereicherungsmodus. Glaubhaft geht ganz anders.“ Den BSW-Politiker und Corona-Kritiker Friedrich Pürner nennt er ein „Orakel der Orientierungslosen und Einfältigen“.

Manchmal liefert sich Neubauer Wortgefechte im Digitalen. Mit einem Nutzer namens Dieter beharkt er sich länger: „Sie sind ja nicht mal in der Lage, Fragen zu stellen. Lächerlicher Dagegen-Mainstream. Mehr nicht. Blankes Blabla.“ Nachdem ein Account eine Einlassung Neubauers mit „Oh mein Gott ist das niedrig …“ kommentiert, fragt dieser unter anderem zurück: „… was genau? Ihr Hirnwasserstand? Der Pegel des Rheins?“

„Ich glaube, dass man auf diese Weise agieren muss“

Das sind lediglich ein paar Beispiele. Mitunter kommt es vor, dass binnen Minuten ein, zwei, drei neue Neubauer-Posts aufploppen. Nicht immer schimpft er. Neubauer teilt auch seine eigenen Gedanken zur politischen Situation, er weist auf Beiträge hin, die er als wichtig empfindet. Aber er legt sich ebenso mit anderen an. Er lässt die Trolle nicht abperlen, die darauf aus sind, schlechte Stimmung zu verbreiten und zu hetzen.

Neubauer macht das, weil er es für geboten hält. Er bleibt nicht stumm, wenn in den sozialen Netzwerken Hass und Häme ausgekippt wird. „Ich glaube, dass man auf diese Weise agieren muss“, sagt er. „Es ist wichtig, dass wir jetzt anfangen, Klartext zu sprechen und uns zu positionieren.“

Bundesweite Aufmerksamkeit für den Landrat

Den mittelsächsischen Landrat treibt seit einiger Zeit die Frage um, ob das politische System in Ostdeutschland in Schieflage gerät. Er hat eine eigene Denkwerkstatt ins Leben gerufen, eine Initiative, die aus den Kommunen heraus neue politische Impulse setzen soll. „Sie will inspirieren, Mut machen und zur Kreativität anregen, aktiv das Gemeinwesen unserer Gesellschaft zukunftsweisend zu unterstützen, um demokratische Institutionen zu stärken“, lautet die Selbstbeschreibung.

Das klingt, wie oft bei Neubauer, ambitioniert und ein bisschen hochtrabend. Aber Neubauer ist einer der wenigen Politiker aus Ostdeutschland, die damit bundesweit Aufmerksamkeit bekommen. Und er liefert Ergebnisse: Welchem anderen Landrat in Sachsen würde man es zutrauen, dass er den Anstoß für einen riesigen Solarpark gibt? Neubauer denkt groß – er möchte den Unterschied ausmachen.

„Ich hänge nicht an so einem Amt“

Im eigenen Landkreis hat er es damit schwer. Auf eine Mehrheit kann er sich nicht stützen, die Parteien und Bündnisse, die ihn für die Landratswahl nominierten, sind im Kreistag in der Unterzahl. Von den stärksten Kräften wird er beäugt: Die CDU hat ihn monatelang gepiesackt, weil er sich von seinem Fahrer und seinem Dienstwagen trennte. Der AfD ist er der liebste Gegner. Sie nimmt genüsslich auseinander, wenn der Landrat eine seiner neuen Ideen präsentiert.

„Er ist alleine im Kreistag“, sagt jemand über Neubauer, der ihn gut kennt. „Sollte ich irgendwann zur Erkenntnis kommen, dass das hier keinen Sinn macht, dann hänge ich auch nicht an so einem Amt“, sagte Neubauer vor Kurzem der „Freien Presse“. Eine zweite Amtszeit schließt er aus. Denn die Mehrheitsverhältnisse ändern sich nicht. AfD (30 Sitze) und CDU (26 Sitze) haben auch im neuen Kreisparlament mit seinen 98 Mitgliedern zusammen eine Mehrheit.

Andere Landräte agieren zurückhaltend

„Die Europa- und die Kommunalwahl sind so ausgegangen, wie wir es gesehen haben“, sagt Neubauer. „Ich finde deswegen das Schweigen aktuell ohrenbetäubend. Ein Aufbäumen kann ich nicht erkennen. Ich will mir aber nicht vorwerfen lassen, dass ich nicht alles getan habe, um ein ähnliches Ergebnis bei der Landtagswahl zu verhindern.“ Darum ledert er bei X los, haut verbal drauf.

Seine neun Amtskollegen in Sachsen, alle mit CDU-Parteibuch ausgestattet oder mit CDU-Ticket gewählt, beobachten, wie Neubauer sich schlägt. Einige Landräte wissen um die Wut, die einen in Sachsen als Kommunalpolitiker befallen kann. „Ich hätte auch manchmal gerne Lust, meine persönliche Meinung zu sagen“, sagt einer von ihnen. „Aber es bringt nichts.“ Andere sind deutlich kritischer: Mit der Arbeit als Landrat, als Wahlbeamter, sei dieser Kommunikationsstil nicht zu vereinbaren, heißt es: „Dahinter, ob das das geeignete Instrument ist, um für eine andere Stimmung zu sorgen, würde ich mal ein Fragezeichen setzen.“

Wie sollen Parteien und Politiker kontern?

Bislang ist Neubauer mit seiner Einstellung ein Solitär. Obwohl im politischen Dresden genauso überlegt wird, wie die Parteien und Politiker im Internet kontern sollen.

Die SPD hat im Frühjahr ein Video geteilt, in dem Beleidigungen aus den Kommentarspalten vorgelesen wurden. Deren Spitzenkandidatin, Sozialministerin Petra Köpping, war fassungslos: „Ich frage mich manchmal: Haben die Kinder, haben die Familie, gehen die da auch so miteinander um?“ Andere stellen ebenfalls fest, dass die extreme Rechte die politische Kultur verändert hat. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert eine strengere Regulierung der sozialen Netzwerke.

„Ich überziehe vielleicht mal“

Einen anderen Vorschlag macht Neubauer. Er hat laut darüber nachgedacht, das Neutralitätsgebot abzuschaffen, an das sich Landräte halten müssen: Man müsse darüber nachdenken, ob man die Protagonisten eines Systems an die Kette legen könne, wenn es von innen heraus angegriffen wird. Er hat für sich aber entschieden, dass ihm das Gebot „relativ egal“ ist.

Zweifel hat er dennoch. „Ich weiß nicht, ob meine Reaktionen einen großen Effekt haben. Und mir ist auch klar, dass ich vielleicht mal überziehe“, sagt Neubauer. „Aber ich kriege sehr viel positives Feedback. Viele Leute trauen sich ähnliches nicht, sind aber dankbar, dass es jemand anderes tut. Ich würde mir wünschen, es würden viel mehr Politiker endlich kein Blatt mehr vor den Mund nehmen.“

Bis das der Fall ist, hält Neubauer allein dagegen.


Grit Baldauf – Freie Presse

Nach dem Wahlsieg der AfD: Dirk Neubauer rechnet in Freiberg mit der Landespolitik ab

Der mittelsächsische Landrat erwartet eine Antwort der Landespolitik auf die Wahlergebnisse. Zugleich macht Neubauer deutlich, wo er die Grenze zieht und wie er seine eigene Zukunft sieht.

Freiberg.Nach dem Wahlergebnis vom Wochenende erwartet Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer eine Antwort aus der sächsischen Landespolitik: „Was ich bisher gehört habe, ist: Die Ampel ist schuld, ich war es nicht. Was ich nicht gehört habe ist, was wir hier anders machen wollen.“
Einen Tag nach seinem Weckruf an die Zivilgesellschaft legte der Verwaltungschef bei einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag in Freiberg nach: Den Erfolg der AfD bei den Europawahlen, aber auch bei den Kreistagswahlen in Sachsen begründet der parteilose Politiker auch mit Wutreaktionen als Folge etwa der Handlungsunfähigkeit der Kommunen: „Wir haben den Kommunen viel zu lange nicht die Möglichkeiten gegeben, Dinge so zu regeln, damit sie zufriedene Bürger generieren.“

Als Beispiel nannte Neubauer die finanzielle Situation der Landkreise. Die sächsischen Landräte diskutierten am Freitag über ein Finanzloch von über 800 Millionen Euro. „Und das einzige, was einem Finanzminister dazu einfällt, ist: Erhöhen Sie bitte die Kreisumlage um 2 Prozentpunkte.“ Ganz abgesehen davon, dass dies für Mittelsachsen 10 Millionen Euro bedeuten und damit nur ein Drittel des Defizites ausgleichen würde: 70 Prozent der Städte und Gemeinden würden damit in finanzielle Bedrängnis gebracht, gab der Mittelsachse zu bedenken und fragte: „Was sind das für Vorschläge?“

Die Frage sei: „Haben wir die Kraft, über die Probleme zu reden?“ – Das sei die einzige Chance mit Blick auf die Landtagswahl im September. Statt Hände zu schütteln und immer auf die Ampelregierung in Berlin zu zeigen, müsse man auch sich selbst reflektieren, sagte Neubauer. Er selbst sei spätestens seit der maßgeblich auf Fehler der Ampelpolitik zurückzuführenden Schließung des Meyer-Burger-Solarwerkes in Freiberg kein Fan der Ampel.

Defizite sieht der Verwaltungschef bei der Transparenz und Einbeziehung der Bürger insbesondere in Ostdeutschland: Nach drei Jahrzehnten, in denen Bürgern gesagt wurde, es werde schon alles geregelt, erwarteten die nun Lösungen. Der 53-Jährige sprach über „multiple Erklärungsansätze“ für ganz alltägliche Probleme wie Bildung, Nahverkehr, Straßenzustand.

Die eigenen Probleme müssten gelöst werden, mahnte er in Richtung Dresden. Doch mancher Landespolitiker müsse sich zu jedem G7-Treffen äußern, „und wir wissen, wie wir es mit Putin richtig zu halten haben, statt einer Außenministerin zu folgen“. Und weiter: „Wir haben in Sachsen kein Außenministerium.“

So steht Dirk Neubauer zur zweiten Amtszeit als Landrat

Für die Durchsetzung von Kerninhalten seiner Politik für den Landkreis Mittelsachsen wie Energiewende und bessere Integration sowie Arbeitskraftgewinnung erwartet der Landrat durch die neuen Mehrheiten im Kreistag schwierige Bedingungen. Die AfD hat die Kreistagswahl mit Abstand vor der CDU und den Freien Wählern gewonnen. Neubauer kündigte an, das Gespräch mit den politischen Gruppierungen im Gremium zu suchen und rief zum konstruktiven Dialog auf.

Hinterzimmergespräche zur Erzielung von Allianzen lehnte er hingegen weiter ab. Gerade bei der Durchsetzung der Energiewende setze er hingegen auf das Interesse der Bürger, die beispielsweise Photovoltaik-Projekte mit Hilfe der Privatwirtschaft verfolgen. Dafür brauche es keine Entscheidungen des Kreistages.

Wann ist eine Schmerzgrenze für ihn erreicht?: „Sollte ich irgendwann zur Erkenntnis kommen, dass das hier keinen Sinn macht, dann hänge ich auch nicht an so einem Amt“, sagte Neubauer der „Freien Presse“ mit Blick auf die politischen Mehrheiten und die politische Stimmung. Und: „Ich brauche das nicht. Ich werde keine Zeit verschwenden.“ Er werde keine Kompromisse eingehen, mich nicht ausverhandeln oder erpressen lassen. Eine zweite Amtszeit als Landrat schloss er aus: „Wie alle wissen, steht mir der Sinn nicht nach Wiederwahl.“


Dirk Neubauer fragt nach der Kreistagswahl in Mittelsachsen: „Was willst Du eigentlich, Osten?“

Der Landrat reagiert besorgt auf das Wahlergebnis in Mittelsachsen: Wutkreuze lösen keine Probleme, sagt er und ruft die Parteien auf, zur Sacharbeit zurückzukehren. Auch mit Kritik spart Neubauer nicht.

Freiberg.Landrat Dirk Neubauer (parteilos) hat besorgt auf das Ergebnis der Kommunalwahlen in Sachsen und zum Kreistag in Mittelsachsen reagiert. Die AfD hatte die Wahl zum höchsten mittelsächsischen Gremium mit 30,3 Prozent klar gewonnen.
Der Verwaltungschef räumte auf der Nachrichtenplattform X (ehemals Twitter) am Dienstagnachmittag ein, dass das Land in einer krisenhaften Situation steckt und eine Menge Probleme zu lösen seien: kaputte Straßen und Schulen, das Bildungsproblem, die medizinische Versorgung müsse stabilisiert werden. „Alles Themen, die ein Landratsamt regelt und wozu ein Landratsamt einen konstruktiven Kreistag braucht.“

Neubauer spricht die Mittelsachsen direkt an: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit der Kreistagszusammensetzung, die jetzt zusammengewählt worden ist von Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger – ob das tatsächlich zielführend ist bei all den Problemen, die wir zu lösen haben.“ Er mache sich wenig Hoffnung. Sei es doch jetzt schon schwierig gewesen, progressive Entscheidungen durchzusetzen.

„Was willst Du eigentlich, Osten?“ fragt er und fügt an: „Wo seid ihr, wenn ich über meinen Verein Denkwerk Ost einlade, Lösungen zu finden?“ 40 Leute kamen zum eintägigen Mitmachworkshop. „Ich kriege sehr viel mehr Post von Menschen, die unzufrieden sind, als ich Bereitschaft sehe, mitzutun.“ Ähnliches spiegelten Parteien bei der Suche nach Ehrenamtlichen. Und: „Wie gehen wir mit diesen Menschen um?“

Hier stimmt etwas nicht, schlussfolgert Neubauer und warnt vor einem ähnlichen Wahlergebnis im September auf Landesebene: Doch damit werde nicht eines der Probleme, die zum Wutkreuz auf dem Wahlzettel getrieben haben, gelöst. Meckern, hetzen, Menschen persönlich angreifen, diffamieren, das könne jeder – aber das Problem sei dann immer noch da. Alle demokratischen Parteien ruft Neubauer auf, zur Sacharbeit zurückzukehren und vernünftige Bündnisse zu schmieden, um Probleme zu lösen: „Dafür brauchen wir Leute, die für etwas sind und nicht Menschen, die ständig gegen etwas arbeiten und die nichts einzubringen haben als Wut.“ Es gehe darum, zu kämpfen, dass sich das Land zwar verändert, aber nicht in die Brüche geht.